19
Feb
2007

Pascal Bruckner - Fundamentalismus der Aufklärung oder Rassismus der Antirassisten?

Ein lesenswertes Essay von Marcel Bruckner auf perlentaucher.de.

Dass es tatsächlich einen Fanatismus der Moderne gegeben hat, davon zeugt die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts. [...] Die abscheulichen weltlichen Religionen des Nationalsozialismus und des Kommunismus standen den schlimmsten Gottesstaaten, deren radikale Negation sie - zumindest im zweiten Fall - sein wollten, mit ihren todbringenden Ritualen und Massenmorden in nichts nach. Man hat im 20. Jahrhundert mehr gegen Gott getötet als in seinem Namen. Und doch wurden der Nationalsozialismus und nach ihm der Kommunismus von demokratischen Regierungen entthront, die ihre Inspiration aus der Aufklärung und der Philosophie der Menschenrechte bezogen und die auf Toleranz und Meinungsvielfalt beruhten. Die Romantik hat die Abstraktheit der Aufklärung, ihren Anspruch, einen neuen, von jeglichem religiösen Gefühl, von jeglichem Fleisch befreiten Menschen zu erschaffen, heilsam gemildert. Wir sind heute die Erben beider Bewegungen und wissen die Besonderheit einer nationalen, sprachlichen und kulturellen Verankerung mit der Universalität des Menschengeschlechts in Einklang zu bringen. Schon seit langem übt die Moderne Selbstkritik, stellt ihre eigenen Ideale unter Verdacht und verurteilt die Anbetung einer Vernunft, die blind für die eigene Maßlosigkeit ist. Kurz, bis zu einem gewissen Grad kennt sie ihre Grenzen.

Die Aufklärung hat sich als fähig erwiesen, auch ihre Irrtümer zu überdenken. Kritik an ihren zum Exzess getriebenen Begriffen ist ein weiterer Beweis der Treue zu ihr. Ja, sie ist so sehr Bestandteil unseres zeitgenössischen geistigen Werkzeugs, dass selbst die von Gott besessenen Eiferer sich auf sie berufen, um ihre Botschaften zu verkünden. Ob wir wollen oder nicht, wir sind die Kinder dieses kontroversen Jahrhunderts, wir sind gezwungen, unsere Väter in der Sprache zu verdammen, die sie an uns weitergegeben haben. Und weil die Aufklärung selbst ihre ärgsten Feinde besiegen konnte, besteht kein Zweifel, dass sie auch die islamistische Hydra niederringen wird. Vorausgesetzt sie glaubt an sich und ächtet nicht ausgerechnet die wenigen Reformer des Islam. [...]

Der Multikulturalismus ist ein Rassismus des Antirassismus. Er kettet die Menschen an ihre Wurzeln. [...]
Im Namen des gesellschaftlichen Zusammenhalts lädt man uns ein, jubelnd die Intoleranz zu beklatschen, mit der diese Gruppen unseren Gesetzen begegnen. Man preist folglich die Koexistenz kleiner, abgeschotteter Gesellschaftsgruppen, die jede für sich eine andere Norm befolgen. Wenn man das gemeinsame Kriterium für die Unterscheidung von Recht und Unrecht aufgibt, wird jede Vorstellung von einer nationalen Gemeinschaft untergraben. Ein französischer, britischer, holländischer Staatsbürger unterliegt zum Beispiel der strafrechtlichen Verfolgung, wenn er seine Ehefrau schlägt. Soll seine Tat ungeahndet bleiben, falls sich herausstellt, dass er Sunnit oder Schiit ist? Soll ihm sein Glaube das Recht verleihen, die gemeinschaftlichen Regeln zu brechen? Mit anderen Worten: Man verherrlicht beim Anderen, was man bei sich selbst immer gegeißelt hat: die Abschottung, den kulturellen Narzissmus, den eingefleischten Ethnozentrismus!
[...]
Darum ist das Engagement für einen aufgeklärten europäischen Islam von entscheidender Bedeutung: Europa kann ein leuchtendes Beispiel für eine Reform dieses Monotheismus werden, von dem man sich erhofft, dass er eines Tages für die Selbstkritik und die Gewissensprüfung gewonnen werden kann, so wie es das Zweite Vatikanische Konzil im Fall der Katholiken bewirkt hat. Allerdings sollte man sich nicht im Gesprächspartner irren und jene Fundamentalisten als Freunde der Toleranz hinstellen, die nicht mit offenen Karten spielen und sich der Linken und der Intelligentsia bedienen, um ihre Konfession vor der Bewährungsprobe des Laizismus zu bewahren [...].

Die Zeit ist reif für eine große Solidaritätsbewegung zugunsten aller Rebellen in der islamischen Welt, der Ungläubigen, der atheistischen Libertins, der Schismatiker, der Freiheitswächter, so wie wir einst die Dissidenten Osteuropas unterstützt haben. Europa sollte diesen abweichenden Stimmen Mut machen, ihnen finanzielle, moralische und politische Unterstützung zukommen lassen, ihnen eine Patenschaft anbieten, sie einladen und beschützen. Es gibt heute keine heiligere, ernsthaftere und für die Eintracht zukünftiger Generationen entscheidendere Aufgabe. Doch unser Kontinent geht mit selbstmörderischer Unwissenheit vor den Gottesverrückten in die Knie und knebelt oder verleumdet die freien Denker. Selig die Skeptiker, die Ungläubigen, die die tödliche Glut des Glaubens erkalten lassen!


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via PI

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